Angst.

Ich bin 57. Ich habe viel erreicht, habe drei Zusatzqualifikationen, habe mich lebenslang fortgebildet. Der letzte große Schub war die Corona-Pandemie: Ich lernte filmen, schneiden, zoomen, podcasten und vieles, vieles mehr. Jetzt ist Schluss. Ich habe fertig.

Es hat auch etwas mit Vergeblichkeit zu tun. Wir haben so viel gearbeitet. Ich und die KollegInnen, wir sprudelten vor Ideen, wir haben unsere geistigen und körperlichen Fähigkeiten geschröpft. Aber es hat nichts genutzt. Die Mitgliederzahlen sinken weiter, die Relevanz von Kirche ist schon kaum mehr als brüchig zu bezeichnen. Und zuletzt die Pandemie: Da gab es noch mal einen neuen Schwung und neue Erkenntnisse. Es gab neue Kraft, weil auf einmal wieder Zeit für kreative Prozesse war. Aber das alles verschwindet im Nichts. Das Hamsterrad hat wieder Fahrt aufgenommen, und all der Unsinn, den wir tun müssen in der verfassten Kirche, nimmt uns wieder gefangen: Sitzungen, Gremien, Vorschriften, Anträge, Paragrafen. Ich mag das alles nicht mehr sehen.

Ich habe Angst. Ich werde alt, ich kann nicht mehr so hoffen, glauben und agieren wie mit 30. Die Kirche schrumpft, und ich muss mich noch einmal neu orientieren und zurückkehren in die Gemeinde mit ihren hohen Anforderungen. Ich habe Angst, dass ich das nicht mehr schaffe. Zudem werden wir weniger. Die Pensionierungswelle rollt an. Ich muss noch zehn Jahre arbeiten. Ich habe Angst zu sterben, bevor ich meine Rente antreten darf.

Es geht nicht mir allein so, aber niemand spricht darüber. Stattdessen brechen Grabenkämpfe auf. Jeder versucht, seine Pfründe zu sichern und die Früchte seiner Arbeit ins Trockene zu bringen. Zuletzt hörte ich von Tricksereien, um der bevorstehenden Reform auszuweichen – ohne Rücksicht auf andere. Das waren kluge und liebe Menschen, die mir ihre Pläne erklärten. Ich versteh das: Sie haben Angst, genau wie ich.

Seitdem ist meine Angst zu Panik geworden. Wenn jeder für sich allein kämpft, werden wir zugrunde gehen. Dann schaffen wir das nicht. Dann schaffe ich das nicht. Wir brauchen jetzt solidarische Modelle für die Regionen, anders schaffen sie das nicht. Wir brauchen eine Kirchenleitung, die uns die Arbeit an der Basis erleichtert, statt sie uns zu erschweren, sonst schaffen wir das nicht mehr. Wir brauchen Gemeinden, die bereit sind, sich neu zu orientieren und auch einmal über den Zaun zu blicken – wir können nicht so weitermachen wie bisher. Wir brauchen viel mehr Liebe und Fürsorge als jetzt. Wir brauchen uns nötiger als je zuvor. Und ihr müsst endlich mal aufhören, an „Gottes Bodenpersonal“ herumzukritteln. Ihr müsst aufhören, der PastorInnenschaft die Schuld an der Misere der Kirche zu geben. Wir können das nicht mehr aushalten. Ich kann das nicht mehr aushalten.

Wir brauchen neue Ideen. Ich hab noch neue Ideen. Ich lebe noch. Ich will noch. Aber ich will nicht von Termin zu Termin hetzen, will nicht mehr Angebote machen, die keiner will und mir zudem die Füße wundlaufen, damit doch jemand kommt, obwohl keiner will. Ich will mich nicht in Gremien verkämpfen. Ich will das Evangelium verkündigen, die Botschaft von Jesus, die froh und frei macht. Ich würde gerne noch weiter an einer jubelnden Kirche bauen. Aber nicht mehr allein, sondern mit anderen gemeinsam, mit Kolleginnen und Kollegen und mit Gemeinden, die ihren Namen verdienen.

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