Ich kenn nur die Netten

Dass das Netz auch Schattenseiten hat, ist unbestritten. Neben all dem Schönen erblühen auch die dunklen Pflanzen, der Hass, der Neid, Bosheit und Besserwisserei, Stalking, Populismus und dunkle Begierden. Bei manchem Beitrag sieht man buchstäblich den armen Nerd vereinsamt im Sessel mit seiner Chipstüte vor dem Rechner vor sich sitzen. Ich dachte immer: Das hat mit mir nichts zu tun. Ich kenne nur die Netten. Und gemeinsam predigen wir die Liebe Jesu Christi, weil wir gut zueinander sind und achtgeben, dass wir einander nicht verletzen und teilen, was uns freut und sorgt.

Manchmal sind die Finger flinker als das Hirn
Aber die anderen, sie gehören eben auch zur Realität im Netz. Ich zögere manchmal, eine kirchliche Veranstaltung in einer der lokalen Gruppen bei Facebook zu posten, weil ich weiß, wie schnell das Netz hochfährt, wenn es erst einmal ein Opfer gefunden hat. Ich hab auch schon mal einen Shitstorm ausgelöst, weil ich an der falschen Stelle gelacht habe. Okay, ich hätte da auch wirklich nicht unbedingt lachen müssen: Es ging um KFZ-Nummernschilder, mir war nicht klar, dass Menschen sich diesem Thema mit großem Ernst widmen und dass, was für mich nur ein Blechschild mit ein paar Nummern ist, anderen für Identität und Zugehörigkeit steht. (Ich muss schon wieder kichern. Pfui, Inke!). Seitdem bin ich wesentlich vorsichtiger mit meinen fixen Fingern im Netz.

Der Kuschelkurs ist zuende
Ein anderes gibt mir zu denken: Wir feiern #twaudes und #twomplet als ökumenische Andachten auf Twitter. Jeden Tag, morgens und abends. Mal gestalten katholische Brüder und Schwestern sie, mal sind wir Evangelischen oder auch Freikirchler am Zuge. Alles ist okay, und gerne bete ich auch mal das fünfte Halleluja mit, das mir im Gottesdienst vielleicht zu viel wäre. Aber da ist noch etwas. Da ist etwas geschehen mit mir und meinem ökumenischen Verständnis. Da ist sogar etwas zerbrochen.

Ökumene ist schwerer als gedacht
Für wen machen wir das? Wer sind unsere Zuleser morgens um 7 Uhr? Was brauchen sie, um gesegnet in den Tag zu gehen? Die Resonanz auf die Twaudes nahm ab, ich wollte mein Konzept überdenken und hätte gerne meine Mitstreiter im Boot für diese Überlegungen gehabt.
Ob überhaupt jemand mitbete, sei gar nicht so wichtig, antwortete mir einer. Er bete stellvertretend für viele, Hauptsache sei, das gebetet würde. So gesehen ist verschrobenes, hochkirchliches Vokabular natürlich kein Problem. Ich aber arbeite so hart daran, die Sprache der Menschen zu sprechen. Ich kann diese Haltung einfach nicht begreifen.

Eine andere Irritation entstand beim Twittern über das Abendmahl. Für mich war immer klar, das katholische und evangelische Christen gemeinsam an den Tisch Jesu gehören und dass das Problem allein bei den oberen Etagen liegt. Dem ist aber nicht so. Meine Geschwister im Netz denken, dass wir Evangelischen das Sakrament so luschig handhaben, dass eine Mahlgemeinschaft nicht möglich sei. Das hat mich richtig gekränkt. Dass ich ausgerechnet im Netz die Grenzen ökumenischer Gemeinschaft erkennen muss, hat mich erstaunt und verunsichert.

Das Netz und die Radikalen
„Im Netz sammeln sich die Radikalen“, sagte mir ein guter Freund, „da finden diejenigen ein Sprachrohr, die in der analogen Welt nicht funktionieren.“ Das ist eine steile These. Und in der Tat: Viele von uns sind im Analogen nur rudimentär beheimatet. Ich selber gehöre dazu. Ich verstehe die analogen Spiel-Regeln immer weniger, und ich habe auch immer weniger Lust, sie zu befolgen. Ich weiß von anderen, die aus anderen Gründen an den Rand gedrängt werden. Uns alle tröstet die digitale Gemeinschaft, radikal ist niemand von uns.
Oder doch? Sind wir nicht doch manchmal radikal in unseren Ansichten? Fehlt uns die Reibungsfläche, weil wir die Auseinandersetzung mit den Trollen meiden und miteinander in unseren Filter-Blasen auf Kuschelkurs gehen? Wie gehen wir mit Konflikten um, halten wir aneinander fest, auch wenn es mal weh tut? Oder ziehen wir uns nicht doch eher zurück, wechseln die Blase oder den Avatar, vermeiden, was uns Angst macht?

Nicht aufgeben. Nicht jetzt.
Wir müssen gut aufeinander aufpassen, im Netz wie im Real Life. Wir müssen gut auf uns selber aufpassen und achtgeben, dass Enttäuschungen uns nicht radikalisieren. Wir müssen miteinander reden, twittern, was die Finger halten, damit wir einander verstehen – auch und gerade, wenn wir unterschiedliche Positionen haben.
Uff. Das ist nicht leicht. Ich will nicht radikal werden, und ich will andere nicht als radikal bezeichnen. Wir sind viele, und wir alle sind Gottes Kinder. So soll es sein, weil er es so will.

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