Komm, heilger Geist!

Ein eigenartiges Jahr geht zuende: Corona hat unsere Welt auf den Kopf gestellt. Wir haben Neues entdeckt, sind tief in die digitale Kirche eingetaucht. Wir beherrschen inzwischen Zoom-Konferenzen, üben uns noch in Youtube und Social Media. Wir haben viel gelernt, haben vieles hinterfragt. Wir haben Enttäuschungen weggesteckt, das Krönchen zurechtgerückt und sind wieder aufgestanden.

Jahresschlussandacht einmal anders

Heute ist Silvester. Seit vielen Jahren feiern wir in der Friedenskirche die Jahresschlussandacht bei Kerzenschein, Andreas am Wort und ich an der Gitarre. Es ist mein einziges „Konzert“ im Jahr. In diesem Jahr haben wir die Andacht mit großem Aufwand vorproduziert. Andreas und ich werden heute Abend am Computer Gottesdienst feiern. Es wird anders sein als sonst.

Dieses Event macht mich besonders nachdenklich. Ich bin keine großartige Musikerin, die Andacht lebte immer von den Menschen, die kamen. Sie ließen sich berühren von der Musik und den Texten, sangen mit, beteten mit, inspirierten und ließen sich inspirieren. Wie soll das digital gehen?

Der Heilige Geist weht, wo er will

Die Antwort ist: Es geht nicht. Nicht so. Die Gegenwart von Menschen fragt nicht nach Qualität, sie lebt aus sich selbst. Da passiert etwas, das sich nicht machen lässt. Da ereignet sich etwas, was nicht beherrschbar ist. Da kommt der Heilige Geist, so wie es ihm gefällt. In Menschen und trotz Menschen. Ob er auch im Digitalen wehen kann und will? So?

Die Gegenwart von Menschen fragt nicht nach Qualität – viele KollegInnen haben in diesem Jahr ihre Aktivitäten teilweise mit gutem Erfolg ins Netz verlagert. Was aber den Zauber vieler Andachten auf Youtube oder Facebook ausmachte, war die vorausgesetzte analoge Beziehung. Gemeindeglieder konnten so „ihren“ Pastor erleben, auch ohne in die Kirche zu gehen. Sie versuchten, Gemeinschaft aufrechtzuhalten, wo sie analog durch den Virus ausgesetzt wurde. Sie wären, wenn sie einen tollen Gottesdienst gesucht hätten, im Fernsehen oder bei Liveline besser aufgehoben gewesen, aber sie wollten ihre Kirche, ihren Pastor, ihre Gemeinde. Mehr noch: Sie brauchten das. Das Analoge hat einen viel höheren Wert, als ich bisher wahrhaben wollte.

Ein harter Brocken

Die große Erkenntnis aus dem Corona-Jahr ist diese: Digitale Kirche lebt nicht nur für sich selbst. Sie ersetzt nicht das Analoge, das Face-to-Face, das Schmecken und Sehen, das Leibhaftige. Sie kann es ermöglichen und fördern, sie kann auch eine Ahnung davon vermitteln, wie es sein könnte. Aber Kirche wird erst, wenn Gott Wohnung unter uns nimmt, wenn der Heilige Geist unter uns weht. Das Digitale aber lebt vom geschriebenen Wort, ist relativ verkopft und auch distanziert. Das steht dem leisen, unvermittelten Wehen Gottes eher im Weg.

Das ist für uns Nerds ein harter Brocken. Das ist für mich ein harter Brocken. Ich ziehe mich gerne hinter meinen PC zurück. Das Internet ist mir die Welt, ich mag die Menschen, denen ich digital begegne. Ich stricke täglich an der digitalen Kirche, bin Seelsorgerin und Theologin im Netz und bin es wahnsinnig gerne. Aber in diesem Jahr ist ein großes Aber geboren.

Die Zukunft der Kirche ist analog-digital

Wie denken wir auf diesem Hintergrund die Zukunft der Kirche? Soweit ich sehe gibt es noch keine Konzepte, die Digitales und Analoges zusammendenken. Das wird aber die Frage der Zukunft sein: Wie bauen wir digital Gemeinschaft, die auch im Analogen trägt? Und wie bauen wir analog Gemeinschaft, die trotz Kontaktbeschränkungen tröstet und stärkt? Wie denken wir als analoge Gemeinschaft das Digitale so mit, dass auch die virtuelle Annäherung an die Ortsgemeinde einladend ist?

Es ist möglich, Gemeindeglieder in die digitale Ortsgemeinde einzubinden: Thorsten Wiese auf Nordstrand zum Beispiel produziert jeden Sonntag einen Online-Gottesdienst und spielt Beiträge ein, die Gemeindeglieder zuhause aufnehmen. Chat- und Kommentarfunktionen erlauben es, dass Menschen auch ohne pastorale Vermittlung miteinander in Kontakt kommen. Meine Versuche mit Online-Chorprojekten waren leider nur mäßig erfolgreich, ich sehe darin trotzdem eine Chance. Aber auch eine Grenze.

Der Heilige Geist liebt Musik

Denn damit bin ich wieder am Anfang: Gemeinsam Musik zu machen ist noch nicht gut virtuell möglich. Aber der Heilige Geist liebt Musik. Immer wieder erfasst es mich, schüttelt mich durch und durch, bringt mir Herz und Seele zum Beben, wenn wir gemeinsam Musik machen und etwas entsteht, was keiner von uns alleine gekonnt hätte. So wird es auch heute Abend sein. Ich hab alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft und mehrspurig vorproduziert, Andreas hat sich als Meister der Schnitttechnik erwiesen. Die Andacht ist so schön geworden, wie es im Rahmen unserer Kompetenzen möglich ist. Aber ob sie zur Andacht im geistlichen Sinn wird, ob sie Menschen berührt und sie in Gemeinschaft bringt? Ich bin gespannt auf den Chat, da geht was. Aber es liegt nicht in meiner Hand. Wir werden sehen, ob der Heilige Geist auch im Virtuellen wehen mag.

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