Mehr menscheln, bitte

Der zweite Lockdown – ehrlich gesagt: Er macht mich fertig. War beim ersten noch so viel Experimentierfreude und Entdeckerlust, merke ich jetzt etwas, was ich nicht recht einordnen kann. Es fühlt sich an wie Frust: Was hat’s gebracht, das Streamen, die Podcasts, das Social Media genauso wie all die analoge Liebe, die in den Gemeinden an den Tag gelegt wurde? Es ist tatsächlich aber auch ein Stück Resignation und Müdigkeit: Wem nützt mein Mühen, mein Streben und mein Arbeiten? Wer braucht eigentlich die Botschaft von der Liebe Jesu Christi? Was braucht eigentlich mein Nächster, die Gesellschaft, die Welt wirklich?

Rückfall in die Pastorenkirche

Um es gleich zu sagen: Antworten habe ich mal wieder nicht. Dafür umso mehr Zweifel, Zweifel auch an der Digitalen Kirche. Denn was habe ich bisher anderes getan, als meine Nase ins Netz zu halten? Ich war präsent, war authentisch und liebevoll, aber ich habe denselben Fehler gemacht wie Generationen vor mir, habe Kirche von mir her gedacht. Und tatsächlich müssen wir aufpassen, dass wir digital nicht zu einer neuen Pastorenkirche werden und weitestgehend frontal das Evangelium „raushauen“. Gemeinde ist mehr als die Summer der Follower und mehr als eine Filterblase bei Twitter. Gemeinde ist der Leib Christi.

Ich frag ja nur: Wie ist das mit den verschiedenen Gaben?

Ich krieg nicht ins Digitale transformiert, was mir als Gemeindepastorin wichtig war: Ich wollte Menschen zusammenbringen und sie stärken, sowohl als einzelne als auch als Gemeinschaft. Ehrenamtliche waren und sind mir sehr wichtig, nicht als Ausführende oder Unterstützende meiner grandiosen Ideen, sondern weil ich mit ihnen Kirche bauen wollte. Sie gewannen im Dienst Selbstbewusstsein, hatten eine Funktion in der Gemeinde, gestalteten und bestimmten mit. Der Leib Christi besteht aus vielen Gliedern mit unterschiedlichen Begabungen.

Aus der Verkündigung wächst die Gemeinschaft

Und damit komme ich zum Punkt: Wie gelingt es im Digitalen, Gemeinde zu bauen? Die Verkündigung des Evangeliums ist nicht das Problem, das haben wir alle wirklich toll gemacht. Aber aus der Verkündigung muss etwas wachsen, aus der Verkündigung wächst Gemeinschaft, Nächstenliebe und Diakonie. Das Evangelium macht Menschen stark zum Handeln – mit Herzen, Mund und Händen.

Ich weiß, dass im Digitalen auch Gemeinschaft entsteht. Aber irgendetwas fehlt, und dieser zweite Lockdown führt mir das unbarmherzig vor Augen. Ich weiß nur nicht genau, was es ist. Es ist wie ein Loch im Herzen, eine Sinn-Leere, eine gewisse Perspektivlosigkeit. Wo will ich in Zukunft den Hebel ansetzen, wohin rudert unser Kirchenschiff, was sind die neuen Ziele, wenn wir uns nicht an den alten abmarachten wollen? Wie bauen wir im Digitalen die Gemeinschaft der Generationen, eine Gemeinschaft, die die eigene Filterblase sprengt, die Sinn gibt und Halt?

Es darf auch im Digitalen menscheln

Ich kaue jeden Satz drei Mal durch, bevor ich ihn poste. Ich überlege genau, was ich wo schreibe. Wenn ein Shitstorm mich bedrängt, lösche ich den Beitrag und es ist, als wäre er nie gewesen. Ich blockiere die Pappnasen, die rumtrollen oder Scheiß schreiben. Das hätte ich in der Gemeinde auch ab und zu gerne getan, aber da ist das ungleich schwieriger. Ich glaube, in der echten Gemeinschaft müssen wir einander mehr aushalten, da bleiben die Schwächen nicht verborgen, da rutscht mal was raus, was besser nicht gesagt worden wäre. Eins lacht zu laut, das Andere jammert zu viel, ein Drittes ist im schlimmsten Sinne untröstlich und ein Vierter weiß alles besser – und sie alle zusammen sind Leib Christi, auch im Digitalen.

Begegnungsräume einrichten

Der Heilige Geist liebt Musik, das hab ich im letzten Artikel behauptet. Und es ist ja ein Grundmakel, dass im Digitalen das gemeinsame Handeln, Singen, Musizieren so mühsam ist. Meine liebe Freundin Gesche erzählte, dass bei Jitsi immer ein Raum offen ist, wo man immer mal reingucken kann und dann via Video-Chat ein Weilchen miteinander schwätzt. Irgendwas an der Idee triggert mich. Ich würde gerne so einen Kirchraum offenhalten, gerne auch für Gottesdienste. Da geht noch was. Außerdem gefällt mir, wie Ines Langhorst ihre Arbeit als Social-Media-Managerin macht: Sie lobt und bestärkt, sie liked und teilt, berät und organisiert. Ich muss mich mehr zurücknehmen, auch im Digitalen, muss anderen mehr Raum geben.

Wie gut, dass es diesen Blog gibt: Im Schreiben ist mir klar geworden, wie sehr ich diese Kirche liebe. Ich werde nicht aufhören, mich für sie einzusetzen – analog und digital. Und wenn das alles vorbei ist, werde ich, was ich gelernt habe, wie kostbares Saatgut hegen und pflegen bis es keimt, wächst und Blüht und endlich Frucht bringt.

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