Wer bleibt, vergeht.

Jetzt kommen sie ja alle aus den Löchern: Die einen fordern den Rücktritt von Jens Spahn wegen irgendwelcher Maskenaffairen, und fast jubelnd beginnen andere das erneute Rumhacken auf unserer Kanzlerin. Man hat sich ja pandemiebedingt doch anfangs ein wenig zurückhalten müssen. Jetzt kommen auch aus den Löchern, die sagen, Kirche habe in der Pandemie versagt. Und Christoph Markschies springt – wohl ohne es zu wollen – auf den Zug derer auf, die meinen, dass Kirche zu retten wäre, wenn das Bodenpersonal nur endlich in die Hufe käme.

Theologisch verbrämtes Nichtstun

Er erzählt von PastorInnen, die ihr „Nichtstun“ theologisch untermauern und es als Solidarität mit anderen Pandemiegeschädigten rechtfertigen. Dabei definiert er Nichtstun über ausgefallene Gottesdienste, denen nicht einmal digitaler Ersatz zur Seite gestellt wurde, spricht von blinden Schaukästen und Spinnweben in den Fenstern. Entschuldigt das halbherzig mit mangelnder Resilienz und Burnout-Symptomen. Fordert neben einer gründlichen Analyse des Schadens Befähigung und Zurüstung von Gemeinden und Pfarrpersonen.

Dieses Nichtstun hatte mit nichts Tun nichts zu tun

Ich habe ein solches Nichtstun bei uns in Nordfriesland nicht feststellen können. Es gab sehr aktive und eher stille Gemeinden. Es gab solche, die sich ins Digitale stürzten und andere, die das nicht bedienen konnten und es auch nicht wollten. „Ich telefoniere sehr viel“, erzählte mir eine Kollegin, die ich tatsächlich als abgetaucht wahrgenommen hatte. Sie rief in den Heimen an, sprach mit ihren Helferinnen, machte Geburtstagstelefonate, beriet sich mit ihren Kirchengemeinderäten. Ein anderer Kollege buk Kuchen und brachte ihn an die Türen seiner Senioren, als kein persönliches Treffen stattfinden konnte. Gemeinden beteiligten sich am Hoffnungsläuten, öffneten ihre Kirchen, standen für Seelsorge-Gespräche bereit. Manchmal erschrak ich richtig, wenn ich wo anrief und sofort den Pastor am Rohr hatte. Ein Kollege, der sonst immer auf 180 dreht, litt sehr unter dem, was er als „Nichtstun“ empfand. Seine Woche hatte plötzlich kaum mehr als 40 Arbeitsstunden, er lernte die Bedeutung des Wortes „Feierabend“ kennen und las ab und zu sogar ein Fachbuch. Er schaute sich im Netz Lehrvideos an, plante die Konfirmandenfreizeiten für die Zeit nach der Pandemie und hatte bei allem immer noch das Gefühl, nicht richtig zu arbeiten.

Natürlich gibt es auch Deppen, aber die sind nicht schuld

Für Christoph Markschies sind die blinden Schaukästen sinnbildlich für sterbende Gemeinden. Und sterbende Gemeinden denkt er eng zusammen mit Pfarrpersonen, die es – aus welchen Gründen auch immer – nicht packen, da Leben reinzubringen. Zunächst einmal: Ja, lieber Herr Markschies, es gibt auch faule Pastoren. Es gibt solche, die sich zuallerst immer selber schützen. Es gibt welche, die müde und ausgebrannt sind. Es gibt wie in jedem Berufsstand auch bei uns echte Deppen. Aber nicht einmal die sind schuld am Niedergang der Kirche.

Denn der Niedergang der Kirche, so wie wir sie kennen, ist gemachte Sache. Sie hat in der Gesellschaft keine Relevanz mehr, und das lässt sich auch nicht ändern oder nachholen. Das liegt nicht an ihren Themen, und es liegt auch nicht an ihren Pfarrpersonen. Menschen entscheiden sich heute täglich neu, was sie wo erleben möchten, wo sie Rat und Hilfe finden, wer sie begleiten soll und von wem sie Unterstützung erbitten – das lässt sich parochial nicht mehr abbilden, und vor allem entzieht dieses Verhalten der Kirche, so wie sie jetzt ist, ihre finanzielle Basis. Es ist nicht mehr vermittelbar, warum ich mehrere hundert Euro im Jahr Kirchensteuer bezahlen soll, wenn ich das Angebot nicht nutze.

Neu denken. Jetzt.

Es gibt viele Ideen zur Stabilisierung des Systems: Eine Amtshandlungs-Agentur könnte den Zugang erleichtern, Kirchensteuer-light oder andere Finanzierungsmodelle werden angedacht, Christoph Markschies schlägt eine bessere Ausbildung oder Spezialisierung von Pfarrpersonen vor. Fundraiser rennen sich die Füße wund und schreiben sich die Finger spitz, um Geld oder Engagement zu generieren. Aber wir müssen uns von dem System Kirche, so wie es ist, verabschieden. Und das muss jetzt beginnen. Sofort.

Wir werden, das schätze ich, im Jahr 2050 unter 20 Prozent Kirchenmitgliedschaft haben. Diese 20 Prozent können den Erhalt der historischen Gebäude nicht wuppen. Das geht nicht. Da müssen andere Lösungen her. Pastorinnen und Pastoren beklagen, dass ein Großteil ihrer Zeit für Verwaltungsaufgaben weggeht. Statt ihnen Gemeindemanager zur Seite zu stellen, müsst ihr die Verwaltungsaufgaben reduzieren. Kita- und Friedhofswerke sind der richtige Weg. Man kann heute keinen Pups mehr lassen, ohne dass sich irgendwer in seinem Urheberrecht verletzt fühlt. Das Datenschutz-Gewese, der Papierkram, die dreifachen Protokoll-Auszüge, der zeitfressende Denkmalschutz, die elende Juristerei – fangt endlich an, damit aufzuhören.

Kirche muss endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden

Ihr da oben, das ist eure Aufgabe. Wer will, dass alles bleibt, wie es ist, will nicht, dass es bleibt, und die Hyperaktivität der Beharrungskräfte ist im Grunde kreatives Nichtstun und Faulheit auf höchster Ebene. Was passiert, wenn wir Strukturen wie die Baptisten hätten: Kleiner, ärmer, konzentrierter? Welche Berufsgruppen wären betroffen, welche Arbeitsbereiche können wir nicht mehr halten? Verbeamtete PastorInnen wird es nicht mehr geben können, was ist die Alternative, was bedeutet das für die Ausbildung? Der Wandel, der uns bevorsteht, ist mit Schönheitsreparaturen nicht mehr zu gestalten. Jetzt muss das Schiff vom Kopf auf die Füße. Und die Füße, das sind die Gemeinden, das sind die Ehrenamtlichen, das sind die, die Christus lieben. Was werden sie brauchen, um in Zukunft ihren Glauben zu leben? Ihr da oben, dieser Frage müsst ihr jetzt nachgehen, und koste es auch euren und meinen Job.

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