Wir machen auf

Eigentlich ist zu der Aktion #allesdichtmachen schon alles gesagt. Aber noch nicht von mir! Das muss dringend nachgeholt werden. 50 deutsche Schauspieler kommentierten Ende April mit kleinen Clips den Lockdown und brachen damit emotionale und kontroverse Debatten über Meinungs- und Kunstfreiheit los.

Ein Virus beherrscht die Gesellschaft

Um es gleich zu sagen: Ich fand die Videos doof. Alle. Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Ricky Müller – ich schätze sie alle so sehr. Aber ihre Clips hinterließen einen faden Nachgeschmack. „Was wollen sie mir eigentlich sagen?“, fragte ich mich, und „muss ich das in einen politischen Rahmen einordnen?“ Denn klar ist: Sie sind nicht einverstanden mit den Einschränkungen. Der Kulturbetrieb ist praktisch zum Stillstand gekommen. Corona beherrscht alles und jeden. Dabei kommen Menschen – Künstler, Kinder und Gewerbetreibende – zu Schaden. So weit, so schlecht.

Ich bin sogar ihrer Meinung. Auch ich bin mit vielen Maßnahmen nicht einverstanden. Manche finde ich unverhältnismäßig, andere unlogisch. Am schlimmsten finde ich es für Kinder und Jugendliche. Die Pandemie klaut ihnen ein Jahr ihrer Jugend, die niemals wiederkehren wird. Und ja: Auch ich frage nach der Verhältnismäßigkeit. Aber ich tat es bisher eher leise, weil ich nicht durch sinnlose Debatten Salz in die Wunden streuen möchte. Weil ich glaube, dass Politikerinnen und Politiker sich wirklich quälen mit diesen Entscheidungen. Weil dieser Virus so falsch und böse ist, dass unter seinem Regiment kaum Richtiges möglich ist.

Zynismus ist, wenn niemand lacht

Aber zurück zu den Clips: Die Schauspieler verteidigen ihre Aktion als Kunst mit Mitteln der Satire. Keinesfalls ließe man sich ins Lager der Querdenker einordnen, man wolle nur mit den gegebenen Möglichkeiten auf faktisch bestehende Missstände hinweisen. Das ging irgendwie gewaltig nach hinten los. Ein Shitstorm ergießt sich über sie. Menschen reagierten verletzt und empört besonders auf Ricky Müller, dessen Clip mit Beatmungsmaschinen assoziiert wurde. Das sei nun mal das Wesen von Satire, wurden wir aufgeklärt. Sie überspitze und übertreibe, sei eine bewusste Bagatellisierung bis ins Lächerliche oder Absurde. Das Problem ist: Es hat niemand gelacht.

Der fade Nachgeschmack lässt sich nicht mit Satire wegreden. Der fade Nachgeschmack kommt vom Zynismus. „Zynismus ist eine Denkhaltung, die geltende Normen ablehnt und für lächerlich hält. Dabei benutzen Zyniker natürlich sehr oft sarkastische und/oder ironische Aussagen, was dazu führt, dass sie als verbittert wahrgenommen werden“, lese ich im Netz. Die SchauspielerInnen leiden unter dem Lockdown. Nicht nur wirtschaftlich, sondern er zersetzt ihr Selbstbild als Kulturschaffende, stellt infrage, was sie können und wofür sie leben. Deswegen sind die Clips nicht witzig. Und sie sind auch nicht satirisch. Sie sind einfach zynisch.

Von offenen (Denk-)Räumen

Mir macht die Aktion in zweierlei Hinsicht Gedanken. Erstens: Wie halten wir es mit der Fehlerkultur? Warum nehmen diese klugen Köpfe die Aktion nicht zurück? Sie ist fehlgeschlagen, na und? Krönchen rücken und neu anfangen. Denn sie wollen gehört werden, und sie haben ein Recht darauf. Das Zweite ist: Wir haben tatsächlich ein Problem mit der Meinungsfreiheit in unserem Land. Zu bestimmten Fragen sollte man sich tunlichst nicht öffentlich äußern. Wenn ich zum Beispiel über den Nahostkonflikt kritisch laut nachdenke, über Genderfragen oder eben auch über die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, dann senke ich meine Stimme und überprüfe, ob die Türen auch geschlossen sind, damit mich niemand Unbefugtes hört. Wir leben in einer Empörungsmentalität, die freies Denken zunehmend erschwert. Das mag ein Problem der Sozialen Netzwerke sein, aber es macht nicht vor dem Login bei Facebook Halt.

Was ich lerne: Es ist mit Nörgeln nicht getan, und Zynismus ist kein probates Mittel zur Meinungsäußerung. Ich wünsche mir, dass unsere Künstler uns mit ihren Möglichkeiten Denk- und Diskussionsräume eröffnen, Licht auf verschattete Argumente werfen, uns in ihre Dialoge mit hineinnehmen. Kunst weitet den Horizont. Das hat in diesem Fall nicht funktioniert. Na und? Krönchen rücken und neu beginnen, anstatt alte Fehler mit immer neuen Belehrungen zu kaschieren. Das könnt ihr besser! Und ich freu mich drauf.

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