Ernüchtert

Ich bin mit einem Pastor verheiratet. Das ist eh schon schön, weil er so nett ist. Aber es ist auch nett, abends bei einem Glas Wein über die Zukunft der Kirche zu diskutieren, Fehler zu analysieren, Stärken herauszuarbeiten und nicht selten sich wie Wicki der Seefahrer nachdenklich zuerst mit dem Zeigefinger die Nase zu reiben und dann eine Idee wie leuchtende Sterne zünden zu lassen.

So war es oft, wir sind fast 25 Jahre verheiratet. Und mindestens genauso lange sind wir auch schon im Amt. Wir haben erstritten, dass PastorInnen auch unverheiratet im Pfarrhaus leben dürfen. Wir haben neue Gottesdienstformen erprobt, Ehrenamtliche gewonnen, das Internet entdeckt und mitgestaltet und immer wieder in synodalen Gremien über die Zukunft der Kirche entschieden. Wir haben unsere Arbeit so gut gemacht, wie wir konnten.

Das Alter macht milde

Und ja, wir haben auch Fehler gemacht. Ich war manchmal engstirnig, hab mich zum Beispiel anfangs schwer getan mit CD-Musik in „meiner“ alten Felssteinkirche, hab mich um die „reine Lehre“ gesorgt, als ob die es nötig hätte. Heute bin ich eine viel fröhlichere, gelassenere und weltoffenere Pastorin und bin mir nach wie vor auch für gewagte Experimente mit spielerischem Hang zum Unsinn nicht zu schade.

Aber jetzt kommt die neue Mitglieder-Statistik raus. In den Jahren meiner Dienstzeit hat die Kirche massiv an Relevanz verloren, selbst unsere wunderbaren Amtshandlungen gehören nicht mehr zum Alltag der Menschen. Anscheinend kann nichts mehr den Verfall aufhalten. Dabei haben wir die zugewandtesten PastorInnen aller Zeiten, die engagiertesten Ehrenamtlichen und zart-fürsorgende diakonische Einrichtungen mit klarem Profil – wir alle stehen mit unserer ganzen Person für unsere Kirche ein, wir alle arbeiten oft an der Belastungsgrenze.

Es ist alles umsonst.

Auch zwei Gläser Wein werden den Kummer nicht ertränken können: Wir haben es nicht geschafft, wir werden es nicht schaffen. Selbst wenn wir das Ruder noch mal gerissen bekämen und die Kirche aus ihrer behäbigen Verwaltungsmilde aufwachte, würde es doch nichts ändern. Selbst wenn es uns gelänge, noch fröhlicher zu glauben und noch brennender zu lieben: Ich glaube nicht mehr an die Zukunft der Kirche.

Die neuen Trümmerfrauen schaffen Platz

Daraus folgt ein Richtungswechsel weg von der verfassten Kirche hin zu einer Glaubensgemeinschaft, die nicht viel mehr als eine Bibel und ihr Gottvertrauen braucht. Lasst uns aufhören, alles zu taufen, was nicht bei Drei auf dem Baum ist: Die großen Tauffeste, die jetzt allerorten aufblühen, schönen bestenfalls die Zahlen. Auch eine Kasual-Agentur wird nichts mehr ändern.

„Gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen“ (Markus 10, 21) – ich meine es ernst: Lass uns den Laden „Volkskirche“ auflösen. Statt organisierter Gemeinden gibt es Glaubensgemeinschaften. Wir stärken die Diakonie mit Geld und Manpower – wir haben genug davon, wenn wir uns von allem trennen, was uns träge macht. Für unsere alten Kirchen finden wir in Zusammenarbeit mit Land und Kommunen neue Lösungen. Sie gehören ja schließlich allen und nicht nur den Kirchenmitgliedern. Unsere jungen Pastoren bilden eigene Werke und verkündigen das Evangelium außerhalb der Parochie und über sie hinaus. Denn: Mag auch die Kirche vergehen, Gottes Wort vergeht nicht. Und wir Alten hören endlich auf, wie die Trümmerfrauen auf den Ruinen von der Restitution des Vergangenen zu träumen. Wir helfen aufräumen, schaffen Platz. Wir tun das mit viel Güte und Erfahrung und Liebe.

Am schlimmsten ist es für unsere Künstler: Was wird aus unseren Musikern, aus unseren Grafikern und Gestaltern? Ein Land, ein Volk, das keinen Platz mehr für Kunst und Schöngeistigkeit hat, zeigt, wes Geistes Kind es ist, und die Dummbatzigkeit behält den Sieg.

Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut

Ich merke: Der Funke springt nicht richtig über, da ist zu viel Verlust und zu viel Schmerz. 2000 Jahre Glaubens- und Traditionsgeschichte gibt man nicht unbedacht preis. Ich liebe meinen Beruf, aber wie ist es um seine Zukunft bestellt? Ich kann mir vorstellen, dass sich neue Nischen finden, sich zum Beispiel Liturgie-Gemeinden gründen, die nichts anderes tun als beten und singen. Es wird Gemeinden geben, die sich Nachbarschaftshilfe und Diakonie zum Auftrag machen. Vielleicht erwachen auch Chöre aus ihrer Selbstgenügsamkeit und gründen sich neu als Kirche Jesu Christi. Oder es kommt der Pastor in seinem Studierzimmer zurück, gründet Lesezirkel und zieht Menschen mit sich, die Klugheit und Weisheit lernen möchten. Es bilden sich mit Sicherheit digitale Gemeinschaften, sie sind ja schon unterwegs. Um die alten Kirchen entstehen Vereine, die sich um den Erhalt und die Pflege kümmern. Ich halte es mit Jesaja 55, 11: Das Wort Gottes kehrt nicht leer zurück. Es hat eine eigene Wirkmacht, die weit über kirchliche Organisationsformen hinausgeht. Es wird bewirken, was Gott will, und erreichen, wozu es gesandt wurde.

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