Das Judentum ist eine sehr beeindruckende Religion: Es ist die älteste noch bestehende, und es pflegt Traditionen, die Jahrtausende alt sind. Gleichzeitig ist es lebendig und klug, es gibt – Gott sei Dank – ganz verschiedene Ausprägungen von der Orthodoxie bis zum liberalen Judentum. Immer ist das Judentum dem Christentum wie ein großer Bruder: Es war vor uns da, unser Glaube fußt auf ihrem. Wir sind Geschwister im Glauben, die jeweils eigene Wege gehen. So seh ich das, und ich habe immer mit großer Liebe und Sehnsucht nach dem großen Bruder geschaut.
Das jüdische Viertel in Rom entspricht dem ehemaligen Ghetto. Seit 1555 mussten auch in Rom die Jüdinnen und Juden hinter Mauern leben, sie wurden in ihren Freiheitsrechten beschnitten, gedemütigt und ausgegrenzt. Erst 1870 wurde es aufgelöst. Stolpersteine erinnern an die Razzia 1943, an die Deportationen, den Tod und daran, dass das Volk Israel über Jahrhunderte bedrängt und bedroht in der Diaspora lebte.
Wir haben wie schon bei unserem letzten Besuch teuer und schlecht gegessen. Das jüdische Viertel baut um seine tragische Geschichte eine eigenartige Atmosphäre, die Gäste anlockt und sie gleichzeitig in Schranken weist. Ich bin besorgt und auch gekränkt, wenn ich spüre, dass der große Bruder mich kleine Schwester nicht will, mir mit Gleichgültigkeit begegnet oder sich gar verbittet, dass christliche Traditionen sich an jüdische anlehnen möchten. Ich wünsche mir so sehr, dass Christen und Juden bei aller Verschiedenheit jetzt und allezeit in geschwisterlicher und unverbrüchlicher Eintracht leben.
Das Bild zeigt eine Mesusa. Die Mesusoth werden schräg an den Türpfosten der bewohnten Räume angebracht, in ihnen sind Pergamente mit Worten aus der Bibel verborgen, so zum Beispiel das berühmte Schema Jisrael.
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer. 5 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
5. Mose 6, 4f
