4. April – Istanbul

Der Orient: fremde Kultur, andere Gerüche, andere Religion, andere Menschen. Die fünf Kilometer vom Flughafenbus zum Hotel gehe ich zu Fuß, um all das in mich aufzusaugen. Auf dem kurzen Weg werde ich zweimal übers Ohr gehauen, lerne Ampeln zu ignorieren und verirre mich heillos in der dunkel werdenden Stadt mit ihren verschlungenen, uralten Gassen.

Istanbul war als Konstantinopel die Wiege der KIrche. Hier vollzog sich die Wende zum Christentum, eingeleitet durch Kaiser Konstantin, der die Hauptstadt des römischen Reichs hierher verlegte und bereits 325 n. Chr. ein Konzil einberief, das bis heute Bedeutung hat. Unter seiner Federführung wurde mit dem Bau der Hagia Sofia begonnen, die weithin sichtbar die wechselhafte Geschichte der Stadt begleitet.

Anders als in Spanien siegt hier der Islam im großen Religionskonflikt des Mittelalters: Die Osmanen eroberten die Stadt 1453 und gaben damit dem römischen Reich den Todesstoß. Die uralten Kirchen machten sie zu Moscheen. Und das fühlt sich in der Hagia Sofia komisch an. Sie hat die Struktur einer riesigen Basilika, und ich wundere mich, dass die sonst so auf Symmetrie bedachten Muslime ihren „Altar“ schief in das Gotteshaus setzen. Klar, sie richten ihn ja nach Mekka aus! Die Basilika dagegen war ja gen Osten geplant, wo woher die Kirche die Wiederkunft Christi erwartet. Die Hagia Sofia ist schön, auch als Moschee – aber ihr fehlt die lichte Leichtigkeit islamischer Architektur.

Ich bin bewegt vom religiösen Respekt, der im Islam selbstverständlich ist: die rituellen Waschungen vor dem Gebet, das Kopftuch und das Ausziehen der Schuhe. Als junge Pastorin meinte ich noch, Kindern die Kirche als Lebensraum nahe bringen zu müssen, als einen Ort, wo man lachen und toben und tanzen darf. Das habe ich bald revidiert, und in der ersten Stunde mit neuen Konfis brachte ich ihnen bei, wie man sich in einer Kirche benimmt: mit Respekt. Ich bin beeindruckt von der Schönheit des Islam, von seiner hohen Verbindlichkeit und seiner Klarheit. Christen und Muslime verbindet mehr als ich wusste.

Den Umgang mit mir dagegen erlebe ich oft als respektlos, übergriffig oder herablassend. Hier in der Altstadt sind fast nur Männer unterwegs, die mir deutlich zeigen, was sie von einer alleinreisenden Frau mit oranger Jacke halten. Fast knicke ich ein und denke, ich habe es auch nicht besser verdient als liberale Christin an so heiligem Ort. Aber Istanbul bestärkt mich in meinem Glauben an den einen Gott, der alle Menschen liebt und ihnen Freiheit und Mündigkeit gönnt.

Niemand von Euch hat den Glauben erlangt, solange er nicht für seine Brüder liebt, was er für sich selbst liebt.

Mohammed

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen