6. April – Teşekkürler Istanbul

„Da hab ich mir wohl ein bisschen viel vorgenommen“, war mein erster Gedanke, als ich in Istanbul ankam. Schon am Flughafen war nichts wie gewohnt. Dann merkte ich, dass mein Datenvolumen schmolz wie Butter in der Sonne und ich wohl auf die heißgeliebte Google-Navigation würde verzichten lernen müssen. Das Umrechnen in Lira, die Hektik der Großstadt, die fremde Kultur – das war am Anfang alles ein bisschen viel.

Aber ich habe eine gute Zeit in Istanbul gehabt. Mein freundlicher, deutschsprachiger Vermieter gab mir den Rat, mich nicht nach Straßennamen, sondern an Besonderheiten, an Moscheen oder den Straßenbahnlinien zu orientieren. Und so lernte ich, mich ganz ohne Karte und Navi zwischen Bosporus und Goldenem Horn zurechtzufinden.

Istanbul ist reizflutend. Man kommt von einem Basar in den nächsten, die eh schon engen Bürgersteige werden von Händlern belegt, die ihre Waren in großen Sackkarren transportieren. Das Verkehrs-Chaos ist erschlagend: Wenn nichts mehr geht, wird gehupt. Wenn man wie ich frisch aus Corona-Deutschland kommt, ist das Gedränge ungewohnt und ein bisschen unangenehm. 

Interessant ist: Alkohol findet hier nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Er wird nicht beworben und kaum öffentlich angeboten. Manchmal lud mich ein Wirt ein, dass ich bei ihm „auf der Terrasse“ ein Bier trinken könne – also ungefähr so abgesondert wie bei uns die Raucher. Im Vergleich wurde mir deutlich, welch große Rolle Alkohol dagegen bei uns spielt. Er ist aus dem öffentlichen Leben auf wegzudenken.

Verhungern muss man nicht: Das Angebot an „Fast-Food“ ist riesig, gut und günstig. Überhaupt habe ich in Istanbul sehr wenig Geld ausgegeben. Selber kochen ist für eine  Alleinreisende auf Zeit ist ein bisschen mühsam: Die Verkaufseinheiten sind für Großfamilien ausgelegt. Reis und Hülsenfrüchte kauft man entweder säckeweise oder gar nicht. Mit Englisch kommt man gut zurecht, viele Türken sprechen auch deutsch. Nett ist auch das große Angebot an guten, öffentlichen Toiletten, auch wenn ich die Hock-Klos aus Altersgründen ein wenig fürchte.

Ich war in jeder Moschee willkommen. Das finde ich nicht selbstverständlich. Ich lernte, den Ruf des Muezzin und den Gesang des Imams zu lieben und habe großen Respekt vor dieser mir vormals fremden Religion gewonnen. Allerdings findet hier scheinbar genauso wenig wie in Spanien eine Auseinandersetzung mit der eigenen interreligiösen Vergangenheit statt: Hier wird Mehmet der Eroberer ebenso unreflektiert verehrt wie in Spanien Isabella von Kastilien, und die christliche Vergangenheit wurde übertüncht oder vereinnahmt genauso wie es in Spanien mit der maurischen und jüdischen Geschichte geschah. Aber im Osmanischen Reich wurden Christen und Juden nicht verfolgt und ermordet, sie galten als Schutzbefohlene, Millets – und das bedeutete wohl eine Form der Diskriminierung und Benachteiligung, war aber keine Gefahr für Leib und Leben. Die spanischen Könige dagegen dachten, als die Zwangstaufe ihren Zweck nicht erfüllte, offen über eine „Endlösung“ des Maurenproblems oder die Kastrierung aller männlichen Muslime, bzw. Neuchristen nach und führten eine Nachweispflicht über mehrere Generationen ähnlich Hitlers Arier-Paragrafen ein. Granada und Istanbul wären gute Lernorte für ein zukunftsfähiges Miteinander der Religionen. 

„Danke“ und „Auf Wiedersehen“ sage ich am Ende meiner Istanbulreise. Istanbul gehört zu den historisch bedeutsamsten Städten überhaupt. Ich bin froh, dass ich hier sein durfte.

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