Einander Gutes gönnen

Ich möchte mir eine neue Gitarre kaufen. Nicht dass ich sie bräuchte, ich hab ja schon ein paar. Aber sie ist so schön, und mein Herz begehrt, sie in den Händen zu halten. „Kauf sie dir doch“, sagt mein Mann, „das ist doch kein Problem!“ Aber ich antworte: „Ne, zuerst bist du dran, dir mal was Schönes zu gönnen.“ So geht das hin und her in einer Kultur des Gönnens. Wer was besitzt, ist gar nicht wichtig. Dass es dem anderen gut geht, darauf kommt es an.

Nicht jeder bekommt, was er braucht

Bei Kirchens dagegen gibt es immer wieder Verteilkämpfe. Das weniger werdende Geld muss „gerecht“ verteilt werden, und die immer weniger werdenden personellen Ressourcen ebenso. Viele schlaue Köpfe sind bemüht, das sogenannte Gießkannenprinzip zu vermeiden. Sie berücksichtigen so viele Faktoren wie möglich. Entstanden ist hier in Nordfriesland eine überaus kompliziert zu lesende Tabelle, die aber – so empfinden es viele – zu größtmöglicher Gerechtigkeit in der Verteilung führt. Aber was ist schon gerecht? Ist wirklich gerecht, wenn jeder das gleiche bekommt, oder ist nicht eine bessere Gerechtigkeit, wenn jeder bekommt, was er braucht?

Ich will euch hier gar nicht mit Kleinigkeiten langweilen. Aber die Situation auf Sylt ist natürlich eine andere wie in Olderup. Husum hat andere Probleme als Amrum. Eine ganze Pfarrstelle für Langeness mag für die paar People dort übertrieben scheinen, aber von einer halben Stelle kann man keine Familie ernähren. Man würde sie schlicht nicht besetzen können. Das wissen auch alle. Und dennoch: Von einer Kultur des Gönnens sind wir weit entfernt.

Welche Kirche wollen wir sein?

Der Lockdown hat die Kirchengemeinden verändert. Gruppen und Kreise konnten nicht stattfinden, selbst Gottesdienste wurden abgesagt. Pastorinnen und Pastoren sah man manchmal am hellichten Tag ein Buch lesen. Und wir stellten fest: Die Welt ging deswegen nicht unter. Plötzlich war es möglich, sich in Videokonferenzen zu treffen. Das sparte Zeit und Geld. Gemeinden haben sich regional zusammengetan, um zum Beispiel einen Live-Stream zu realisieren. Die Grenzen der Parochien verschwammen. Unser kirchliches Kleinklein weitete sich. Jetzt, wo wir die Corona-Krise anscheinend in den Griff bekommen, ist es Zeit für Entscheidungen: Welche Kirche wollen wir sein? Was sind unsere Inhalte? Was brauchen wir, um weiterhin Kirche in der Welt zu sein?

Eine Kultur des Gönnens

Es wäre zu schön, wenn wir unser Denken in eine Kultur des Gönnens stellen würden. „Was brauchst du, liebe Nachbargemeinde, was kann ich tun, um dich zu unterstützen?“ „Eigentlich muss bei uns nicht jeden Sonntag Gottesdienst sein, soll unsere Pastorin ab und zu bei dir predigen?“ „Wir haben eigentlich mehr Geld als wir brauchen. Sollen wir euch was abgeben?“ „Ihr macht da drüben so wichtige Arbeit und erreicht viel mehr Menschen als wir. Wir kriegen das hier auch mit weniger Leuten hin. Ihr sollt gerne die bessere Ausstattung haben.“

Gutes kommt zu dir zurück

So möchte ich Kirche in der Welt sein: Fürsorgend, liebend, großherzig und gütig. Stattdessen sind wir wie Geschwister, die einander nicht die Butter auf dem Brot gönnen. Das ist ein bisschen peinlich, finde ich. Eine Kultur des Gönnens braucht Vertrauen. Mein Mann und ich sind seit 25 Jahren verheiratet. Wir wissen voneinander, dass keiner den eigenen Vorteil sucht, sondern im Gegenteil dem anderen das Beste wünscht. Eine Kultur des Gönnens lebt vom Verantwortungsgefühl: Ich bin verantwortlich dafür, dass es meiner Nachbargemeinde, meinem Kollegen/meiner Kollegin gut geht. Ich tue, was ich kann, um dem anderen zu helfen. Dabei tritt die Frage nach der Gerechtigkeit in den Hintergrund. Was ich heute Gutes tue, kommt irgendwann zu mir zurück. Viele unserer Gemeindeglieder denken und handeln schon lange so, engagieren sich im Ehrenamt, verschenken sich und ihre Zeit großzügig in einer Kultur des Gönnens.

Menschen und Bedarfe sind verschieden. Ich träume eine Kirche, die das Kleinklein ihrer Friedhofsmauern hinter sich lässt. Eine Kirche, die verzichten und verschenken kann. Eine, die es wagt, sich zu konzentrieren und auch in ihrer Botschaft das Gießkannenprinzip hinter sich lässt. Da, wo Angebote funktionieren, sollte Geld und Menpower hin, da, wo sie vor sich hinkrebsen, sollte man sich auch mal verabschieden können. „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ (1. Petrus 4, 10) – denn nicht auf den Ruhm des Einzelnen kommt es an. Gemeinsam verkünden wir das Lob Gottes.

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